Wie geht die Branche mit der Krise um?
Anfang November begann in Deutschland der zweite Lockdown – diesmal wird er als "light" bezeichnet. Dabei sind die möglichen Folgen für Studiobetreiber und Coachesalles andere als harmlos. Für einige in der Branche war dieser Schritt vorhersehbar. Für andere kam er eher überraschend. Schließlich hatte man die geforderten Hygienemaßnahmen vorschriftsgemäß umgesetzt.

Unsere Redaktion sprach mit Studiobetreiber Mike Schommer (MS) vom Fitnessclub Motivitas im Saarland und mit Holger Gugg (HG), Coach und Fitnessunternehmer aus Bayern, über ihre persönlichen Erfahrungen mit dem erneuten Lockdown.
Hattest du den zweiten Lockdown erwartet?
MS: Einen Lockdown in diesem Ausmaß hatte ich nicht erwartet. Die Fitnessstudios haben die vorgegebenen Hygienevorschriften umgesetzt, meistens sogar übererfüllt. Ein sicheres Training für unsere Mitglieder war immer gewährleistet.
HG: Ehrlich gesagt ja. Alles in allem schlagen in Bezug auf Corona zwei Herzen in meiner Brust. Ich kann nicht alle getroffenen Maßnahmen in vollem Umfang nachvollziehen und weiß, dass ich hiermit insgeheim nicht allein dastehe.
Konntest du dich vorbereiten?
MS: Wir haben bereits im ersten Lockdown mit unserem Studio-Netzwerk QFISA eine Online-Plattform erstellt, über die wir Livekurse anbieten können und die eine umfangreiche Kurs-Datenbank enthält. Diese bespielen wir jetzt wieder verstärkt.
HG: Ich habe das große Glück, dass ich so gut wie gar nicht auf die Institution Fitnessstudio angewiesen bin, um meine alltägliche Arbeit zu verrichten. Die Vorerfahrungen aus dem ersten Lockdown haben mir für den zweiten Lockdown sogar noch etwas mehr Sicherheit verschafft.

Welche Auswirkungen hatte die erste Welle?
MS: Als inhabergeführtes, familiäres Studio haben wir sehr loyale Mitglieder, die dem Studio treu verbunden sind. Aber natürlich gab es auch einige Kündigungen, gerade von älteren Mitgliedern, die Angst in dieser momentanen Situation haben. Da in dieser Zeit auch keine Neumitglieder gewonnen werden konnten, hatte diese Welle doch erhebliche finanzielle Auswirkungen.
HG: Bis auf eine gewisse Umstrukturierung meiner angebotenen Schwerpunkte gab es keine direkten Folgen. Es gab natürlich weniger persönliche Coachings, dafür aber einen Aufschwung bei digitalen Produkten, Online-Contenterstellung sowie im Bereich Nahrungsergänzungen.
Welche Maßnahmen hattet ihr umgesetzt?
MS: Wir haben uns natürlich streng an die Hygienevorgaben gehalten. So haben wir im gesamten Studio die Trainingsgeräte so umgestellt, dass ein Abstand von zwei Metern zwischen den Trainierenden vorhanden war. Im Kursbereich wurden Bodenmarkierungen angebracht, um auch hier ein Training mit sicherem Abstand zu gewährleisten. Desinfektionsspender zur Desinfektion der Hände sind an allen wichtigen Stellen vorhanden und die Desinfektion der Geräte mittels Desinfektionstüchern ist für die Mitglieder einfach umsetzbar. Unsere hochmoderne Lüftungsanlage sorgt zusätzlich für optimale Luftverhältnisse.
HG: Das, was vorgeschrieben war. Ich habe es in meiner täglichen Praxis mit Menschen zu tun, die allesamt bewusst leben, einen gesunden Lifestyle pflegen und somit auch über eine starke Immunabwehr verfügen.

Sind die Kunden fitter oder träger geworden?
MS: Es ist sehr schwierig, ein Training, wie es im Studio absolviert wird, zuhause in den eigenen vier Wänden durchzuführen. Zusätzlich fehlt die soziale Komponente und der Spaß, beispielsweise bei einem Gruppenworkout. Daher wird das Training dann auch schnell einmal vernachlässigt und man wird träger.
HG: Gesundheitlich stelle ich bisher keine Veränderungen fest. Dies liegt sicher daran, dass ich ausschließlich mit Menschen zusammenarbeite, für die ein Lockdown keine Pause vom Ernährungsprotokoll oder von sportlicher Aktivität bedeutet. Ich kann mir aber durchaus vorstellen, dass der Aktivitätslevel der Bevölkerung mangels Optionen insgesamt abgenommen hat. Ein Lockdown in Wintermonaten wird diese Situation nochmals zuspitzen.
Gibt es mentale Veränderungen?
MS: Nach dem ersten Lockdown war bei vielen Mitgliedern eine gewisse Zurückhaltung zu spüren. Durch unser Hygienekonzept und viele persönliche Gespräche konnten Ängste jedoch abgebaut werden und die Mitglieder waren wieder motiviert, etwas für ihre Gesundheit zu tun.
HG: Gerade bei wettkampfambitionierten Sportlern, denen man Wettkampfereignisse weggenommen hat, macht sich zunehmend Frustration breit. Die Frage nach „dem Sinn des Ganzen“ wird erstmalig gestellt. Für mich als Coach ist es eine furchtbare Situation, das mit ansehen zu müssen.
Nutzt du die Zeit für Weiterbildung?
Wir haben einige Bildungspartner, die sehr gute Möglichkeiten angeboten haben, sich auch online fortzubilden. Diese Angebote haben mein Team und ich ausführlich genutzt. Die digitalen Möglichkeiten sind dabei sehr hilfreich und machen das Lernen leicht.
Wie wichtig wird digitale Kommunikation?
Essentiell. Wenn direkte Kommunikation „von Mann zu Mann“ eingeschränkt wird, gewinnt digitales Kommunizieren umso mehr an Bedeutung. Ich für meinen Teil nutze natürlich Videoanwendungen, investiere in diesen Zeiten aber auch mehr Zeit in Blogbeiträge, Newsletter oder Content im Rahmen meiner Social-Media-Kanäle.
Und die Auswirkungen aufs Immunsystem?
MS: Es ist wissenschaftlich belegt, dass Krafttraining einen nicht unerheblichen, positiven Effekt auf das Immunsystem ausübt. Fällt dieses Training nun über eine längere Zeit weg, wird das negative Auswirkungen haben. Gerade in einer Zeit, wo ein gutes Immunsystem umso wichtiger ist.
HG: Eigentlich sollte es in unserem Land dank Corona so sein, dass einer funktionierenden Immunabwehr als bester Schutz vor Viren exponentielle Aufmerksamkeit geschenkt wird. Leider erlebe ich dies nicht. Man könnte meinen, eine Mund-Nasen-Bedeckung ersetze eine starke Immunabwehr. In meiner Position als Ernährungsberater hätte ich mir hier eine gänzlich andere Herangehensweise gewünscht, zumindest für einen gewissen Teil der Bevölkerung. Ich für meinen Teil hätte mich beispielsweise gerne an groß angelegten Aufklärungskampagnen zum Thema „gesunder Lifestyle“ beteiligt.
Gibt es bereits wirtschaftlichen Folgen?
MS: Einen gewissen finanziellen Engpass können wir in unserem Unternehmen abpuffern. Die Ungewissheit, ob die Zwangsschließung doch weiter andauert, lässt aber natürlich doch Existenzängste aufkommen.
HG: Gott sei Dank bedeutet die aktuelle Situation für mich keine Existenzbedrohung. Ich verdanke dies einem sehr breiten Portfolio an Angeboten, das ich über die Jahre auf die Beine gestellt habe.
Wo stehen wir nach dem zweiten Lockdown?
MS: Dir Fitnessbranche muss weiterhin daran arbeiten, bei der Politik und der Bevölkerung als Gesundheitsanbieter wahrgenommen zu werden. Wir leisten einen großen Anteil zur Volksgesundheit und sind schon lange keine Muckibuden mehr.
HG: Die Fitnessbranche insgesamt wird auch den zweiten Lockdown überleben, allerdings gibt es Segmente wie beispielsweise privat geführte Fitnessclubs, für die die Luft mit jeder zusätzlichen Woche Lockdown immer dünner wird.
Wie geht es für die Branche weiter?
MS: Training als Gesundheitsvorsorge ist noch nicht im Bewusstsein der Bevölkerung angekommen, wenn wir Reaktionsquoten um die 12 Prozent für die Branche sehen. Training muss, wie Zähneputzen für gesunde Zähne, als starker Gesundheitsfaktor etabliert werden. Die verschiedenen Verbände versuchen sicherlich ihr Möglichstes, allerdings fehlt oft das Gehör, zum Beispiel dasjenige der Politik.
Vielen Dank euch beiden für eure Zeit und euer Engagement.
Holger Gugg
Er arbeitet als Coach und Fitnessunternehmer. Zusätzlich ist er Geschäftsführer von body-coaches.de. Er absolvierte zahlreiche Ausbildungen für Fitness und Ernährung, u. a. das BSA-Personal Trainer-Zertifikat, Abschlüsse zum Ernährungstrainer, Gesundheitstrainer und Trainer für Sportrehabilitation. Kontakt: holger@body-coaches.de
Fitnessclub Motivitas
Mike Schommer und Frank Vogelgesang, die das Studio Motivitas leiten, verfügen zusammen über 20 Jahre Erfahrung in der Branche – und das merkt man dem durchdachten Konzept an. So unterschiedlich wie die Kundenziele sind, so variabel ist das Angebot. Im Saarland-Thermen-Resort, nahe der französischen Grenze gelegen, verfügt das Studio auch über viele Mitglieder aus Frankreich. Kontakt: info@motivitas.de
Was sagst du?
Welche Erfahrungen hast du als Fitnessprofessional mit dem Thema Corona gemacht? Wir freuen uns über eine Kontaktaufnahme unter sabine.mack@pflaum.de.